Transkript Podcast #5
Episode 5: Science short – Dreidimensionale Strukturen im Wald
Was haben Baumkronen mit Biodiversität und Klimawandel zu tun? Alice Rosen and Tommaso Jucker vermessen die Baumkronenstrukturen mit Lasern, um genau darüber mehr herauszufinden.
Wir machen uns auf eine Reise durch unterschiedliche Baumkronen: vom bunten Gewirr an verschiedenen Pflanzen im Raum bis zu Monokulturen mit Pflanzen der gleichen Grösse, des gleichen Alters und mit immer gleichem Abstand zueinander.
B: Bist du schon einmal durch einen Wald spaziert und hast fasziniert nach oben in das vielschichtige Blätterdach geblickt? Tolle Muster aus ineinander verschachtelten und überlagerten, verschränkten Ästen und Blättern, dahinter manchmal kaum mehr ein Fleckchen Himmel zu sehen, und wenn der Wind bläst, schieben sich die Bäume ineinander und übereinander als wenn sie tanzen würden. Und hast du dann deine Gedanken wandern lassen und darüber nachgedacht, was ein solches Blätterdach mit dem Klimawandel zu tun haben könnte? Wahrscheinlich nicht.
—INTRO—
Ich bin Bettina und ich bin Yema und das ist der Dear2050-Podcast, über Kunst und Wissenschaft über Wälder im Klimawandel. Wir sind Kuratorinnen und in dieser Miniserie bringen wir euch einige der interessantesten Menschen und Projekte aus unserer Ausstellung über Wäldern im Klimawandel näher.
B: Und in dieser Episode stellen wir einen Forschungsartikel vor, in dem es um die komplexe dreidimensionale Struktur von Wäldern geht , wie man sie misst, und wie sie den Klimawandel beeinflusst.
Y: Halt, stopp, nicht gleich wieder ausschalten. Das klingt jetzt zwar ziemlich kompliziert. Aber wir von Climanosco haben es uns ja zur Aufgabe gemacht, wissenschaftliche Artikel einfacher zugänglich zu machen. Solche Artikel sind zwar oft etwas komplex, weil sie sehr spezifische Themen behandeln und auch schon Wissen voraussetzen. Uns senden Forscher:innen Artikel, die sie geschrieben haben in vereinfachter Form. Aber selbst dann noch sind sind sie oft noch nicht ganz einfach zu verstehen, und wir beiden sind auch keine Klimawissenschaftler:innen. Und genau deshalb gibt es diesen Podcast: Wissenschaft, einfach und spannend erklärt!
B: Für die Ausstellung “Dear2050: Entangled Forests” haben wir Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt dazu aufgerufen, uns ihre Forschung über die Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder zuzusenden.
–PAUSE–
Y: Wir sind also im Wald, schauen nach oben, und sehen all diese Blätter, Äste, Bäume…die komplexe dreidimensionale Struktur von Wäldern. Und hier sind wir bereits bei unserem Fachbegriff des Tages: Genau das macht sie nämlich aus, die komplexe dreidimensionale Struktur, ein buntes Gewirr an verschiedensten Pflanzen im Raum.
B: Und diese räumliche Struktur untersuchen die Forschenden Alice Rosen und Tommaso Jucker. Sie nutzen neue Messmethoden, um die strukturelle Komplexität von Wäldern zu messen.
Y: Auch strukturelle Komplexität ist ein Fachbegriff, klingt fast gleich wie komplexe dreidimensionale Struktur, ist aber nicht genau das Gleiche. Lass uns kurz beide Begriffe erklären. Die strukturelle Komplexität ist ein Mass, das die Anzahl und die Vielfalt der Einzelteile eines Systems und ihrer Verbindungen beschreibt.
B: In einem Wald mit hoher struktureller Komplexität leben viele verschiedene Pflanzen- und Tierarten mit unterschiedlichen Lebensweisen. Die Pflanzen- und Tierarten werden unterschiedlich gross und haben möglichst viele verschiedene Beziehungen zueinander: sie fressen sich, werden gefressen, betreiben Photosynthese, und so weiter. Kurz: Strukturelle Komplexität ist ein buntes Durcheinander.
Y: Strukturelle Komplexität ist also eine Masseinheit, und wenn etwas eine hohe strukturelle Komplexität hat, kann man es als komplexe dreidimensionale Struktur bezeichnen.
B: Das heisst auch: Wälder mit einer komplexen dreidimensionalen Struktur, also zum Beispiel tropische Regenwälder, beherbergen einen grossen Anteil der weltweiten Artenvielfalt. Sie liegen damit mit Korallenriffen ganz an der Spitze. Ausserdem binden und speichern sie erhebliche Mengen an Kohlenstoff aus der Atmosphäre.
Y: Weil die Artenvielfalt und die Speicherung von Kohlenstoff einen grossen Einfluss auf die Entwicklung des Klimas haben, sind die beiden Forschenden, die den Artikel verfasst haben, überzeugt, dass die dreidimensionalen Strukturen von Baumkronen genauer gemessen werden müssen. Nur so können wir die Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder besser verstehen und vorhersagen.
B: Und warum ist es wichtig, dass Wälder eine hohe strukturelle Komplexität haben? Und wie entsteht sie?
Bäume wachsen aus einem winzig kleinen Samen, selbst solche, die über 100 Meter hoch werden. Während sie wachsen, konkurrieren sie ständig mit anderen Pflanzen um Licht, und um Platz im Kronendach. Irgendwann sterben sie wieder ab und hinterlassen eine Lücke, und andere Bäume rücken nach. Ein Wald mit verschieden alten und verschieden grossen Bäumen hat in der Regel eine hohe strukturelle Komplexität. Auch ein Wald mit verschiedenen Arten, hohe Mammutbäumen, kleineren Sträuchern… Einige Bäume haben hohe Stämme und flache, breite Kronen, andere eher hoh , schmale Kronen. So können sie den verfügbaren Raum untereinander aufteilen. Und fangen nicht nur mehr Licht ein, sondern bieten auch verschiedensten anderen Lebewesen Nischen, in denen sie nebeneinander existieren können. Gegen Umwelteinflüsse sind solche Wälder gut gewappnet.
Y: Jetzt ist es aber so, dass wenn Menschen in Waldstrukturen eingreifen – und das machen sie ja immer öfter auf der ganzen Welt, weil sie sich auch immer mehr ausbreiten – sich diese Komplexität meist verschlechtert. Und damit dann auch die Fähigkeit der Wälder, Kohlenstoff zu speichern und die biologische Vielfalt zu erhalten.
–PAUSE–
B: Doch kommen wir zu dem Teil der Studie, in dem es darum geht, wie diese Veränderungen gemessen werden können. Das ist nämlich tatsächlich nicht ganz einfach, um nicht zu sagen, komplex …
Y: Die Komplexität misst man eben an verschiedenen Faktoren: an der Vielfalt von Arten, an der Dichte der Struktur, der Grösse, der Anordnung der einzelnen Elemente. Nun stell dir mal vor, du versuchst, alle diese Eigenschaften über eine Fläche von mehreren hundert Quadratkilometern zu messen. Also ich wüsste nicht wo anfangen.
B: In der Tat, etwas schwierig. Und dann kommt noch dazu, dass es unzählige verschiedene Methoden gibt, die strukturelle Komplexität zu messen. Bis jetzt wurden bestimmte Eigenschaften von Bäumen meistens vom Boden aus gemessen. Zum Beispiel hat man versucht, einfach über den Durchmesser von Baumstämmen Schlussfolgerungen über die Komplexität der Waldstruktur zu treffen.
Y: Doch dann, haltet euch fest, kam eine bahnbrechende Innovation: Fernerkundungstechnologien.
B: Ein kurzer Exkurs zu meinem Geografiestudium: Technologien zur Fernerkundung nutzen elektromagnetische Wellen oder Schallwellen, um die Erdoberfläche zu messen, zu kartieren und zu beschreiben. Die meisten wurden, wie so vieles, für militärische Zwecke entwickelt. Dazu gehören Luftbilder ebenso wie Wärmebilder.
Y: Die Studie nutzt eine bestimmte Technik der Fernerkundung, den sogenannten LiDAR-Scan. LiDAR-Scanner schiessen im Prinzip hunderttausende von Laserimpulsen pro Sekunde in den Raum und messen dann die Zeit, die jeder dieser Impulse braucht, bis er irgendwo anstösst und zum Sensor zurück reflektiert wurde. Sie können vom Boden aus betrieben werden, aber manchmal werden auch Plattformen gebaut, um die Bäume aus anderen Blickwinkeln zu messen. Und LiDAR-Scanner können auch fliegen: fast jedenfalls. Oft überfliegen sie in Helikoptern oder Drohnen riesige Waldgebiete, und es gibt sogar schon Satelliten, welche mit LiDAR-Scannern ausgestattet sind und regelmässig Daten über die Wälder ganzer Kontinente liefern.
B: Und wenn man einen Scan von einem Wald macht, dann erfass der im Prinzip ganz viele einzelne Punkte. Die Punkte werden auf einer dreidimensionalen Karte am Computer eingetragen. So können mit Hilfe von LiDAR-Scannern extrem detaillierte 3D-«Punktwolken»-Modelle von Waldkronen erstellt werden, im Prinzip ein detailgetreues Modell der Waldkrone – vermessen und genau in Zahlen beschrieben.
Y: Ich mache ein Beispiel: Die Forschenden haben eine tropische Waldlandschaft in Sabah in Borneo untersucht. Borneo ist die drittgrösste Insel der Welt. Dort am Äquator wachsen die letzten grossen Regenwälder Südostasiens. Die Artenvielfalt ist dort so gross wie sonst nirgends. Durch Abholzung sind diese Wälder aber stark bedroht.
Auf einem 3D-Höhenmodell aus einem LiDAR-Scan sieht man den Wald von oben und wie hoch jeweils die Baumkronen sind. Auf diesem Bild erkennt man einen scharfen Übergang von einem alten tropischen Regenwald – in dem die aufstrebenden Bäume über 80 m hoch sind – zu einer Ölpalmenplantage mit ihrem charakteristischen kurzen und gleichmässigen Kronendach.
B: Und solche Monokulturen sind, was die strukturelle Komplexität angeht, so ziemlich das pure Gegenteil eines gesunden Regenwaldes: Alle Pflanzen sind gleich gross, gleich alt, von der gleichen Art, und stehen im gleichen Abstand zueinander.
Y: Genau! Doch nicht nur die Plantage hat ein niedriges Kronendach – und das sieht man jetzt eben auf diesem LiDAR-Scan erstmals wirklich gut: auch vom Waldrand wachsen 100m waldeinwärts nur kleinere Bäume. Dort, in der Randzone des Waldes, herrschen nämlich wärmere, trockenere und windigere Bedingungen. Das ist eine Gefahr für die Bäume, weswegen sich die Waldstruktur verändert.
–PAUSE–
B: An dem Beispiel sieht man: Durch die massiven Fortschritte in der LiDAR-Technologie in den letzten Jahren sind wir heute in der Lage, die dreidimensionale Struktur von Wäldern in räumlichen Massstäben und Auflösungen zu messen, die noch vor zwanzig Jahren undenkbar gewesen wären.
Y: Mit den Erkenntnissen aus den neuen Messungen können Forschende nun leichter erkennen, welche Waldabschnitte bedroht sind, welche besonders erhaltenswert sind – weil sie eben eine hohe strukturelle Komplexität haben –, und wie gut Massnahmen für die Waldgesundheit an einzelnen Orten wirken.
B: Diese Technologien bieten also ein enormes Potenzial, das aber leider noch viel zu wenig ausgeschöpft wird. An vielen Orten, gerade in tropischen Regionen, fehlen die Mittel, um relativ teure LiDAR-Scanner zu kaufen, oder um die immensen Datenmengen auszuwerten. Doch genau da wären sie am allerwichtigsten.
—OUTRO—
Und das war’s schon für heute. Und falls ihr mehr über unsere Projekte erfahren wollt, besucht unsere Webseite dear2050.org oder hört euch unsere anderen Podcasts an!
Mit unserem Projekt Dear2050 verbinden wir nämlich zeitgenössische Kunst und Wissenschaft, um Wissen über den Klimawandel erlebbar zu machen. Mit Ausstellungen, kulturellen Veranstaltungen und Publikationen zeigen wir den Klimawandel aus verschiedenen Perspektiven. Dear 2050 ist das Vermittlungsprojekt des Vereins Climanosco. Der Verein ist als wissenschaftlicher Verlag tätig und setzt sich für unabhängige, frei zugängliche Klimawissenschaft ein.