Transkript Podcast #4
Episode 4: Science short – Gefahr aus dem Himmel
Wir sprechen über eine unsichtbare Kraft, die den Pflanzen das Wasser aus den Blättern saugt.
Heisse und trockene Sommer sind nicht nur eine Gefahr für die menschliche Gesundheit, sondern auch für die Pflanzen. EPFL-Professorin Charlotte Grossiord und ihr Team haben die Auswirkungen von warmen, trockenen Sommern auf Pflanzen untersucht und schreiben über eine Gefahr aus dem Himmel, die Pflanzen trotz Bewässerung austrocknen lässt.
B: Wenn wir über Klimawandel sprechen, stelle ich mir normalerweise vor, dass es sehr heiss wird, alle Böden trocken werden und deshalb die Pflanzen austrocknen, so wie wenn es in einer Vase kein Wasser mehr hat, oder wenn deine Mitbewohner:innen vergessen haben, deine Pflanzen zu giessen während du in den Ferien warst. Nun hat man aber herausgefunden, dass Pflanzen vor allem auch durch die Luft austrocknen und ihre Blätter viel zu früh verlieren. Eine Gefahr aus dem Himmel! Und das ist eine neue Erkenntnis, die erst mit dieser Studie entdeckt wurde, obwohl nun doch seit einiger Zeit zum Klimawandel geforscht wird.
—INTRO—
Ich bin Bettina und ich bin Yema und das ist der Dear2050-Podcast, über Kunst und Wissenschaft über Wälder im Klimawandel. Wir sind Kuratorinnen und in dieser Miniserie bringen wir euch einige der interessantesten Menschen und Projekte aus unserer Ausstellung über Wäldern im Klimawandel näher.
Y: Und in dieser Episode stellen wir einen Forschungsartikel vor, in dem es um Dampfdruckdefizit und Bodenwasserpotential geht.
B: Das klingt jetzt zwar ziemlich kompliziert. Zugegebenermassen sind wissenschaftliche Artikel oft sehr komplex, da sie sehr spezifisch ein bestimmtes Thema behandeln. Aber bloss keine Panik, wir fangen ganz von vorne an!
Y: Wir beiden sind auch keine Wissenschaftler:innen und genau deshalb gibt es diesen Podcast: Wissenschaft, einfach und spannend erklärt!
B: Für die Ausstellung “Dear2050: Entangled Forests” haben wir Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt dazu aufgerufen, uns ihre Forschung über die Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder zuzusenden.
–PAUSE–
Y: Eines der eingereichten Manuskripte heisst “Threat from the Sky” also “Gefahr aus dem Himmel”. Es wurd von acht Wissenschaftler*innen des Plant Ecology Research Lab der EPFL in Lausanne verfasst.
B: Das ist das Lab, mit dem wir für die Ausstellung zusammengearbeitet haben. Die Gruppe unter Professorin Charlotte Grossiord untersucht die Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder und Pflanzen in ganz Europa.
Y: Zunächst einmal schreiben sie darüber, wie der Klimawandel sich allgemein auf das Klima bei uns auswirkt. Aber das wissen wir ja schon: es wird wärmer.
B: Ja, aber nicht nur das. Sommer werden in Zukunft wahrscheinlich trockener und heisser. Extreme Dürreperioden, also Zeiträume, in denen über lange Zeit gar kein Regen fällt, werden häufiger vorkommen. Dadurch trocknen Böden aus. Viele Studien beschäftigen sich deshalb vor allem damit, was geschieht, wenn Pflanzen über den Boden zu wenig Wasser aufnehmen können. Die Forschungsgruppe hat nun aber herausgefunden, dass nicht nur trockene Böden eine Gefahr für Pflanzen darstellen, sondern auch trockene Luft. Das war bisher kaum bekannt. Und da warme Luft mehr Wasser aufnehmen kann, ist die relative Luftfeuchtigkeit tiefer, die Luft also trockener. Und saugt aus dem Boden und aus Pflanzen Wasser auf.
–PAUSE–
Y: Da sind wir schon beim ersten Fachbegriff: dem Dampfdruckdefizit. Die englische Abkürzung ist VPD.
Eine einfache Begriffsdefinition: Luft enthält Wasserdampf. Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit in Form von Wasserdampf aufnehmen. Diese Kapazität wird Dampfdruckdefizit genannt, oder kurz VPD, und bezeichnet den Unterschied zwischen der Menge Wasserdampf, welche die Luft aufnehmen könnte, und der Menge Wasserdampf, welche die Luft tatsächlich enthält.
B: Und das hat Auswirkungen auf Pflanzen: Mit dem Klimawandel wird die Luft bei uns wärmer, aber nicht feuchter. Dadurch steigt das VPD. Und je höher das VPD, desto mehr Wasser “saugt” die Luft aus Boden und aus Pflanzen.
Y: Um diesen Vorgang zu verstehen, müssen wir grob wissen, wie Pflanzen funktionieren. Und zwar nehmen Pflanzen ja Wasser über die Wurzeln auf. Das steigt dann über sogenannte Xyleme in der Pflanze zu den Blättern auf. Xyleme können wir uns ein wenig wie Blutgefässe vorstellen, nur dass sie mit Wasser gefüllt sind. In den Blättern nun betreibt die Pflanze Photosynthese. Sie wandelt Kohlenstoff aus der Luft und Wasser aus dem Boden in Kohlenhydrate und Sauerstoff um. Der Kohlenstoff gelangt über winzige Spaltöffnungen an der Blattunterseite hinein, und über die gleichen Öffnungen gibt das Blatt auch Wasser an die Luft ab. Um Wasserverlust vorzubeugen, kann die Pflanze diese Spaltöffnungen, die Stomata, schliessen. Das tut sie zum Beispiel nachts, wenn sie sowieso keine Photosynthese macht, oder wenn sie mehr Wasser an die Luft verliert, als sie über die Wurzeln aufnehmen kann.
B: Die Pflanze kann ihre Stomata aber auch absichtlich öffnen, um sich durch das verdunstende Wasser abzukühlen. So ein bisschen, wie wenn wir schwitzen. Fun Fact: Wusstest du, dass wir Menschen die einzigen Tiere sind, die schwitzen können? Ich habe in einer Doku gesehen, dass das eigentlich unser einziger Vorteil gegenüber anderen Tieren ist.
Y: Pflanzen kommen durchs Schwitzen aber in ein Dilemma. Denn wenn die Luft wärmer und trockener wird, steigt das VPD, die Luft will also mehr Wasser aufnehmen. Der Druck auf die Pflanze das auszugleichen, steigt. Deshalb würde sie einerseits gern die Poren schliessen, um kein Wasser zu verlieren, andererseits ist ihr aber auch echt warm und sie würde sich unglaublich gerne ein wenig abkühlen und Wasser verdunsten.
B: Und Pflanzen reagieren in solchen Situationen ganz unterschiedlich. In der Studie, welche in dem Artikel zusammengefasst ist, wurden drei Arten erforscht – die Rotbuche, die Flaumeiche und die Steineiche. Die Rotbuche kennt ihr vielleicht, das ist ein Baum mit ganz dünnen und weichen Blättern. Die Flaumeiche ist eine an trockene Bedingungen gewöhnte Art aus Zentraleuropa. Die Steineiche ist in mediterranen Regionen rund ums Mittelmeer zuhause. Sie kann sehr gut mit trockenem, warmem Klima umgehen. Sie verliert ihre dicken Blätter auch im Winter nicht.
Y: Die Bäume wurden nicht in freier Wildbahn untersucht, sondern in sechs verschiedenen Klimakammern, in denen die Bewässerung, die Lufttemperatur und die Luftfeuchtigkeit kontrolliert werden können. Die Hälfte der Kammern wurde auf 25°C erhitzt, die andere auf 30°C. Zusätzlich hat man in jeder Kammer ein anderes Dampfdruckdefizit eingestellt, und die kleinen Bäume über 6 Monate hinweg beobachtet.
B: Mit verschiedenen Messungen haben die Wissenschaftler:innen dann untersucht, was mit dem Wasser in den Bäumen passiert. Sie haben gemessen, wie viel Wasser die Pflanzen über ihre Blätter abgeben, wie hoch der Wasserdruck in den Blattadern ist, und wie die Xyleme aussehen. Und nach 6 Monaten Untersuchung waren die Ergebnisse … genau so wie die Wissenschaftler:innen es erwartet haben.
Y: Das heisst?
B: Die Forschenden haben festgestellt, dass die Gefässe, also die Xyleme, der gut bewässerten Bäume bei höheren Temperaturen und trockener Luft mit mehr Luftblasen gefüllt sind. Das bedeutet, dass der Wassertransport in ihren Gefässen blockiert war.
Y: Mich erinnert ans Tauchen. Da darf man nicht zu schnell auftauchen, da sonst auch Luftbläschen in den Adern entstehen. Diesen Vorgang nennt man Embolie, und der kann tödlich sein.
B: Genau, und so ist es auch bei Pflanzen. Die Rotbuche leidet am stärksten unter Hitze und Trockenheit, die Steineiche am wenigsten.
Y: Und dafür gibt es eine natürlich eine Erklärung: Verschiedene Pflanzenarten haben nämlich verschiedene Überlebensstrategien. Sie setzen entweder auf Sicherheit oder auf Leistungsfähigkeit.
Pflanzen, die auf Sicherheit setzen, investieren Energie in starke, widerstandsfähige Blätter und hartes, dichtes Holz. Deswegen bilden sich in ihren Gefässen weniger schnell Luftbläschen, aber sie können dadurch auch weniger Wasser transportieren. Die Pflanzen, die auf Leistungsfähigkeit setzen, transportieren viel Wasser, betreiben viel Photosynthese, und wachsen deshalb auch schneller. Aber sie sind auch weniger gegen Trockenheitsstress geschützt.
B: Und das sieht man gut am Beispiel der Rotbuche, die auf Leistungsfähgkeit setzt. Ihre grossen Kronen mit den dünnen Blättern betreiben viel Photosynthese. Rotbuchen können aber ihre Stomata nur schlecht verschliessen. Dadurch verlieren sie viel Wasser. Normalerweise wachsen Buchen auf feuchten Böden, so können sie den Wasserverlust ausgleichen. Wenn die Luft nun aber sehr trocken ist, können Buchen über ihre Wurzeln nicht genug Wasser aufnehmen, um den Verlust über die Blätter auszugleichen, sogar wenn der Boden sehr feucht ist.
Y: Dann bleibt ihnen oft nur noch eine Möglichkeit, um sich vor Lufteinschlüssen zu schützen: Sie werfen ihre Blätter ab.
B: Das würden sie im Herbst ja sowieso machen. Aber wenn sie die Blätter wegen Trockenheit bereits im Spätsommer abwerfen müssen, fehlen ihnen einige Wochen oder Monate an Photosynthese und deswegen können sie weniger Kohlenhydrate herstellen, die sie für den Winter brauchen. Sie drohen somit also zu “verhungern”. Das ist eine tolle Strategie bei einmaligen Dürren, aber wenn das Klima längerfristig trockener und wärmer wird, dann werden es Buchen sehr schwer haben.
Y: Bei Eichen ist genau ist das genau umgekehrt: Sie betreiben weniger Photosynthese und wachsen viel langsamer als Buchen. Ihr Holz ist härter und weniger empfindlich. Bei Trockenheit schliessen sie einfach die Stomata an ihren Blättern, und warten auf besseres Wetter. Die Eichen können sich also viel besser an veränderte Umweltbedingungen anpassen.
–PAUSE–
B: Solche Experimente in Klimakammern liefern also Hinweise darauf, wie sich Bäume im Klimawandel wahrscheinlich verhalten werden. Die Aussagen aus dem Experiment sind nicht einfach auf die Welt ausserhalb der Klimakammer übertragbar. In einem Wald beeinflussen sich die unterschiedlichen Arten gegenseitig. Es entwickeln sich unterschiedliche Mikroklimata, je nach Baumarten, Wuchshöhe, Schatten, Flüssen, die durch den Wald fliessen, und so weiter. Diese verschiedenen Gegebenheiten sind für die Forschenden noch nicht messbar.
Y: Ok, das war jetzt sehr viel Information in sehr kurzer Zeit. Ich fasse das kurz nochmal zusammen: In Zukunft wird das Klima bei uns wärmer, und es wird längere Dürreperioden geben. Trockene Luft setzt Pflanzen zu, sogar wenn ihre Wurzeln genug Wasser haben. Der Grund dafür ist, dass Pflanzen in trockener, warmer Umgebungsluft viel Wasser über die Blätter verlieren und es deshalb zu Lufteinschlüssen in ihren Gefässen kommen kann. Das VPD hat grosse Auswirkungen auf Pflanzen. Um zu verstehen, wie diese auf klimatische Veränderungen reagieren, muss man also nicht nur die Temperatur und die Bodenfeuchtigkeit, sondern auch das Dampfdruckdefizit untersuchen. An Feuchtigkeit gewöhnte Arten wie die Rotbuche sind stärker gefährdet als zum Beispiel Eichen.
B: Korrekt! Und das wusste man bisher nicht, dass trockene Luft so starke Auswirkungen haben kann. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis für die Erforschung der Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder. Besonders wichtig ist es laut der Forschenden auch, dass mehrere Einflussfaktoren kombiniert untersucht werden. Nur so können genaue Vorhersagen gemacht und daraus dann Lösungsansätze entwickelt werden.
Y: Und gibt es schon eine Lösung?
B: Die bisherigen Resultate verschiedenster Messungen malen ein düsteres Bild. Aber auf jeden Fall sollten wir auf jeden Fall eine Verlangsamung des Temperaturanstiegs anstreben, um das Austrocknen der Wälder zu reduzieren. Und generell gilt: Gesunde Wälder mit vielen verschiedenen Arten und Bäumen unterschiedlichen Alters können grundsätzlich besser mit Veränderung umgehen. Intakte Wälder sind also definitiv eine Lösung!
—OUTRO—
Und das war’s schon für heute. Und falls ihr mehr über unsere Projekte erfahren wollt, besucht unsere Webseite dear2050.org oder hört euch unsere anderen Podcasts an!
Mit unserem Projekt Dear2050 verbinden wir nämlich zeitgenössische Kunst und Wissenschaft, um Wissen über den Klimawandel erlebbar zu machen. Mit Ausstellungen, kulturellen Veranstaltungen und Publikationen zeigen wir den Klimawandel aus verschiedenen Perspektiven. Dear2050 ist das Vermittlungsprojekt des Vereins Climanosco. Der Verein ist als wissenschaftlicher Verlag tätig und setzt sich für unabhängige, frei zugängliche Klimawissenschaft ein.