Transkript Podcast #1
Episode 2: Am PERL mit Philipp Schuler
Was heisst es, zum Klimawandel zu forschen? Wie gehen Wissenschaftler:innen mit ernüchternden Forschungsergebnissen um?
Im Gespräch mit Philipp Schuler, Forscher am Pflanzenökologie Labor an der EPFL in Lausanne, geht es um die Auswirkungen des Klimawandels auf Bäume und darum, warum Forschung wichtig ist und was Forschende eigentlich den ganzen Tag so treiben.
P: Die ersten Kinderfotos von mir sind aus den Bergen bei Wanderungen: ich mit ganz vielen Blumen, die ich gepflückt habe. Ich war Ende meines Doktorats ein halbes Jahr in Australien im tropischen Norden und das war sehr schön. Es war ein Kindheitstraum von mir, dort alles anzuschauen, denn bei uns gibt es eher so einzelne Bäume im Wald mit höchstens ein klein wenig Moos und Flechten drauf. Aber dort sind es jeweils viele Farne, Kletterpflanzen und Orchideen, die auf den Bäumen wachsen. Und auch Schlangen und vieles mehr: ein richtiges kleines Ökosystem im Baum, dessen biologische Komplexität sich gegenseitig ermöglicht. Das finde ich so spannend.
B: Dieser Faszination für Wälder geht Philipp Schuler, unser heutiger Gast, täglich als Forscher am Pflanzenökologie Labor an der EPFL Lausanne nach. Dort erforscht er den Einfluss des Klimawandels auf Bäume. Im Mittelpunkt seiner Forschung steht die Frage, was wärmere, trockenere Luft mit Pflanzen macht.
—INTRO—
Ich bin Bettina und ich bin Yema und das ist der Dear2050-Podcast, über Kunst und Wissenschaft über Wälder im Klimawandel. Wir sind Kuratorinnen und in dieser Miniserie bringen wir euch einige der interessantesten Menschen und Projekte aus unserer Ausstellung über Wäldern im Klimawandel näher.
—PAUSE—
Y: Ich frage mich, wieso eigentlich alle diese Pflanzen, die Philipp im tropischen Norden Australiens gesehen hat, bei uns nicht wachsen. Philipp, kannst du als Pflanzenexperte uns da weiterhelfen?
P: Bei uns ist es relativ trocken und diese Pflanzen sind oft sehr anfällig auf Trockenheit. Man kennt es ja vielleicht, dass gewisse Pflanzen zuhause im Winter einfach braun werden und sterben. Das hat unter anderem damit zu tun, dass im Winter die Luft zuhause viel zu trocken ist. Und auch wenn man den Pflanzen genug Wasser gibt, mögen das gewisse Arten einfach nicht. Ein Beispiel dafür ist die Avocado, die bei trockener Luft schnell eingeht.
Y: Also muss man sich so vorstellen, dass die trockene Luft quasi den Pflanzen das Wasser aus den Blättern ziehen will?
P: Genau, das kennt ihr vielleicht vom Wetter her: zwischen Tief- und Hochdruckgebieten gibt es sehr starke Winde und genauso ist es mit dem Blatt: wenn es ausserhalb des Blattes sehr trocken und heiss ist, dann gibt eine Kraft, die das Wasser herauszieht. Und je nach dem, wie die Pflanzen angepasst sind – an welche Umweltbedingungen – können sie das stoppen oder sie trocknen einfach aus.
B: Da haben wir es wohl wieder mit dem VPD zu tun. Dieser Kraft – dem VPD – haben wir eine ganze Episode des Podcasts gewidmet, sie heisst «Threat from the Sky». Das VPD beschreibt die Differenz zwischen der tatsächlichen Wassermenge in der Atmosphäre und der Wassermenge, die bei Sättigung in der Atmosphäre enthalten sein könnte. Und trockene Luft will dann quasi den Pflanzen das Wasser aus den Blättern saugen.
Y: Und die Auswirkungen dieses VPD spielen bei eurer Forschung eine wichtige Rolle, wenn ich das richtig verstehe? Ihr habt schliesslich auch Räume, in denen ihr die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit kontrollieren könnt. Für die Experimente bringst du die Bäume dann in diese Klimakammern?
P: Ja, das ist so ein kleiner Raum, wie ein kleines Zimmer, das sehr technologisiert aussieht, ein wenig wie in einem Science Fiction Film. Es ist alles aus Metall: Metallwände, Metallboden und es ist sehr laut durch die Lüftung. Die Klimakammer kannst du dann zum Beispiel auf 35 Grad stellen und dann hast du dort drin Sommer. Du kannst hineinlaufen zu deinen Bäumen, die da drinstehen.
B: Welche stehen in deinen Klimakammern?
P: Einerseits habe ich die heimische Kiefer als Referenzbaumart für kühle Temperaturen. Dann habe ich die Mittelmehrzypresse und die Aleppo-Kiefer, das ist eine Kiefer, die man im Urlaub in Italien oder Südfrankreich auf Campingplätzen in der Nähe des Meeres sieht.
Und im nächsten Jahr untersuche ich noch drei Laubbaumarten. Das ist der heimische Ahorn, bei dem wurde auch gesehen, dass er unter der Trockenheit der letzten Jahre leidet. Eine Erle aus Süditalien und ein Busch aus dem Mittelmeerraum, der stark an Trockenheit adaptiert ist. In unserer Selektion der Arten versuchen wir jeweils eine Art Gradient einzubauen.
B: Und wie gross sind die Bäume?
P: Jetzt sind sie etwa von der Erde aus 40cm und nächstes Jahr sind sie dann etwas grösser, eineinhalb Meter etwa.
B: Das sind im Prinzip Babys?
P: Ja.
B: Kann man denn von kleinen Pflanzen ohne Verluste darauf schliessen, wie sich grosse, ausgewachsene Bäume verhalten und wie sie reagieren?
P: Wenn man im Wald ist, dann sieht man zum Beispiel, dass die kleinen Bäume früher austreiben im Frühling als die Grossen. Daran sieht man, dass die ein wenig anders reagieren, auch weil am Waldboden ein anderes Klima herrscht. Andererseits ist es auch so, dass Bäume – wenn man die Schweiz als Referenz hat –im Jura anders reagieren als im Mittelland oder in den Voralpen. Es spielt auch immer eine Rolle, wie der Boden und die sonstige Umgebung sind. Das Experiment ist nie perfekt, aber wir können immerhin innerhalb der Artenauswahl und anhand der jeweiligen Eigenschaften der verschiedenen Pflanzen sagen, ob sie mehr oder weniger anfällig sind. Aber wenn wir die die Trockenheitsanfälligkeit einer Baumart anschauen, ist es natürlich auch wichtig, wie tief die Wurzeln in den Boden gehen und was sie dementsprechend aus tieferen Schichten nehmen können.
B: Es ist also keine perfekte Simulation, aber wir können trotzdem viel über die Anfälligkeit verschiedener Baumarten auf Trockenheit und Hitze herausfinden. Ich finde diesen Vergleichenden Ansatz spannend. Vielleicht müssen dann die Bäume aus dem Mittelmeerraum bald zu uns wandern, weil sich das Klima so verändert, dass sie plötzlich nördlich der Alpen gute Wachstumsbedingungen finden würden.
—PAUSE—
Y: Im aktuellen Projekt von Philipp geht es zum Beispiel darum, herauszufinden, welche Eigenschaften Pflanzen resistent gegen sehr hohe Temperaturen machen. Magst du noch etwas darüber erzählen, was das Besondere an diesem Projekt ist?
P: Mein momentanes Projekt untersucht, wie sich extreme Hitzewellen auf die Funktionalität von Pflanzen auswirken. Und es gibt nicht viele Studien auf dem Gebiet, in diesen extremen Temperaturen, weil die Technik oft nicht über 30 Grad geht. Man sieht bei vielen Publikationen, dass die Temperatur bis 30 Grad geht, das ist aber nicht speziell heiss. Deshalb hat man da auch nicht viele starke Reaktionen gefunden. Wir gehen jetzt zumindest bis 40 Grad in unserem Experiment. Dadurch können wir viel extremere Bedingungen untersuchen. Und wir testen einerseits, was eine Temperaturerhöhung bewirkt, bei der die Luftfeuchtigkeit so angepasst wird, dass das VPD immer konstant bleibt. Und andererseits erhöhen wir in einer anderen Klimakammer daneben das VPD bis zum Maximum, das die Technik ermöglicht. Dadurch hoffen wir, dass wir sehr starke Reaktionen sehen. So wollen wir auch verstehen, welche Eigenschaften Pflanzen resistent machen und welche empfindlich. Und die Resultate kann man dann hoffentlich dazu nutzen, Vorhersagen darüber zu treffen, wie die unterschiedlichen Arten – hoffentlich auch weltweit – auf den Klimawandel reagieren.
Wir untersuchen neben heimischen Arten auch solche aus dem Mittelmeerraum und aus den Tropen. Das klappt alles hoffentlich so, wie wir es uns vorstellen – es gibt natürlich überall immer wieder technische Probleme etc., die man aber bewältigen kann…
Das mache ich jetzt bis im nächsten April: das ist die experimentelle Periode. Die Phasen sind immer unterschiedlich, weil die Hauptarbeitszeit, in der wir Messungen machen – das könnt ihr euch vielleicht vorstellen – ist von Frühling bis Herbst, weil dann haben die Bäume Blätter, dann sind wir man draussen. «Im Feld sein» sagen wir dem. Da ich aber jetzt in den Klimakammern arbeite, kann ich gut den Winter hindurch im UG Messungen machen.
Y: Das heisst wenn du im Feld bist, hantierst du den ganzen Tag mit diesen Geräten und sammelst die Daten ein, die diese Geräte messen. Was machst du danach mit den gesammelten Daten?
P: Wenn man die Daten gesammelt hat, wertet man sie statistisch aus am Computer und bespricht sie. Man arbeitet eigentlich immer im Team, das ist auch etwas Tolles bei uns, dass man so viele Leute hat, die interessiert und kompetent sind. Wir sind je nach dem in unterschiedlichen, wechselnden Gruppen unterwegs und besprechen die Forschungen. Vor allem im Winter sind wir oft in den Laboren und in den Büros. Dann gehen wir zusammen Mittagessen, das ist wirklich cool, weil in Lausanne hat es auch wirklich eine gute Kantine und eine Studierendenbar in der Nähe. Wenn man diesen Beruf macht, ist es sehr wichtig, dass man mit den Leuten auskommt, weil man teilweise wochenlang gemeinsam auf einer Feldkampagne ist. Ich habe selbst nicht so viele miterlebt, aber andere im Team sind zusammen ins Wallis, Tessin, nach Spanien oder Südfrankreich gegangen und waren dann wochenlang miteinander unterwegs. Dazu muss man sich schon gut verstehen – oder sollte, aber das bei uns zum Glück der Fall – dass man dann eine gute Zeit hat und damit alles funktioniert. Aber es ist eigentlich schön, auch wenn es sehr arbeitsintensiv ist. Das ist der Vorteil von der Klimakammer – da kannst du einstellen, wann die Sonne aufgeht – gegenüber den Leuten, die im Sommer im Feld arbeiten. Weil gewisse Messungen muss man machen, bevor die Sonne aufgeht, da arbeitet man im Sommer von drei Uhr morgens bis um zehn Uhr abends. Das muss dann schon gut organisiert sein.
B: Den Eindruck hatte ich auch, als ich am PERL war. Ich durfte auch in die Kantine zum Essen und das war immer sehr lustig. Insbesondere die Geschichten und Anekdoten, wie dieses Arbeiten von drei Uhr morgens bis zehn Uhr abends.
—PAUSE—
Y: Wenn ihr diese Daten dann ausgewertet habt und gewisse Aussagen treffen könnt, was hofft ihr, dass dann passiert? Oder besser formuliert: Was und wem helfen eure Resultate?
P: Wir können den Klimawandel mit unserer Forschung nicht aufhalten. Bei uns geht es darum, die Auswirkungen des Klimawandels zu verstehen und voraussagen zu können. So, dass man bestenfalls schon früh Adaptionsmassnahmen treffen kann. Wir sind hier in Europa sehr glücklich, weil wir genug Geld haben und zusätzlich von einer relativ kühlen Temperatur ausgehen. Andere Regionen auf der Welt haben viel stärkere Probleme, sich an den Klimawandel anpassen zu können. Es ist das, was wir machen können, um die Auswirkungen abzufedern.
Y: Also es hilft uns, wenn wir wissen, was passiert. So wird einerseits vielleicht noch klarer, dass wir etwas ändern sollten, und andererseits das Wissen auch helfen, Massnahmen zu ergreifen, um die Anpassung voranzutreiben.
P: Genau, und in der politischen Diskussion ist es natürlich auch wichtig, dass man Argumente hat und sagen kann: 2050 oder 60 sterben alle Buchen ab, wir müssen handeln. Achtung, das war ein Beispiel, es gibt keine Forschung, die das sagt, aber so könnte ein Argument aus der Forschung in einer politische Diskussion lauten.
Y: Ja wie gehst du damit um, dass du jeden Tag mit diesen Informationen über den Klimawandel konfrontiert bist und diese «Horrorergebnisse» erzielst?
P: Menschen sind zum Glück so, dass sie Dinge sehr gut ausblenden können. Mir ist klar, dass 2100 wahrscheinlich wirklich nicht so schön sein wird, und dass sehr wahrscheinlich sehr viele der Wälder – global – sehr in Mitleidenschaft gezogen sein werden. Man kann sich wohl gar nicht vorstellen, was noch passieren wird. Und es ist schon sehr frustrierend, dass nichts passiert.
B: Ich stelle mir zum Beispiel oft vor – es geht ja um den Klimawandel – dass wir uns wahrscheinlich auch an eine Welt anpassen können, die wärmer ist. Wälder werden sich jetzt zwar degenerieren aber vielleicht in der Zukunft – ganz weit in der Zukunft – wieder zu etwas lebendigem entwickeln.
P: Ja wir haben ja auch den Meteoriteneinschlag von vor 65 Millionen Jahren überlebt… Ich denke wir hier in den reichen Industrienationen, wir können uns schon adaptieren auf eine gewisse Art und Weise, aber der grösste Teil der Erde einfach nicht. Die Leute sind jetzt schon von Armut betroffen, von Ausbeutung – auch von uns, für die Rohmaterialien, aber das ist eine andere Geschichte – und die können sich nicht anpassen. Da gibt es ein sehr grosses Konfliktpotenzial… jetzt bin ich auch wieder nur in der negativen Seite…
Ja, wir können uns natürlich anpassen und man kann Experimente für Anpassungen machen. Ich plane jetzt ein Projekt im Tessin – es ist noch sehr in den Kinderschuhen – in dem wir auch Subtropische Arten untersuchen. Normalerweise untersucht man bei uns eher die Arten, die jetzt schon im Tessin vorkommen oder zumindest in Italien. Aber im Tessin ist es jetzt schon so warm und wird in 50 Jahren noch viel wärmer sein, dass man dann wirklich komplett neue Arten brauchen wird. Und dass ist so mein Beitrag. Und ja, ich mag es auch, die Pflanzen zu setzen und ihnen beim Wachsen zuzuschauen. Aber es ist eine ganz komische Situation, das Ganze. Und das Einzige, was helfen würde, wäre die Emissionen zu stoppen. Und alles andere ist lediglich der Versuch, zu flicken.
B: Ich glaube, das ist ein Teil dieser riesigen Überforderung. Wir stehen einer Situation gegenüber, die es so überhaupt noch nie gab für die menschliche Gesellschaft, seit wir ein kollektives Gedächtnis haben. Es ist etwas, womit wir einfach nicht aus Erfahrung umgehen können. Und es ist sehr umfassend, mit sehr vielen negativen Details, so dass es manchmal schwierig ist, da noch positive Momente zu sehen.
Y: Ja, was mir emotional hilft – nicht immer, aber manchmal – ist einerseits die Arbeit am Thema. Insbesondere die Arbeit in einem Team, mit Menschen die das alles auch wahrnehmen, die auch wütend sind und die trotzdem jeden Tag zusammenkommen um irgendwie zu versuchen herauszufinden, was ihr Beitrag dazu ist. Einerseits auf der Arbeit aber auch im persönlichen Umfeld, ist es sehr hilfreich gegen diese absolute Verzweiflung, wenn man sieht: «Ach, die ist studiert jetzt Biologie und wird da irgendwie ihren Weg machen und beschäftigt sich mit diesem Thema.» Also das hilft mir schon – nicht immer, manchmal ist es dann eher ein gemeinsames wütend sein.
P: Ja
B: Das stimmt.
—OUTRO—
Und das war’s schon für heute. Und falls ihr mehr über unsere Projekte erfahren wollt, besucht unsere Webseite dear2050.org oder hört euch unsere anderen Podcasts an!
Mit unserem Projekt Dear2050 verbinden wir nämlich zeitgenössische Kunst und Wissenschaft, um Wissen über den Klimawandel erlebbar zu machen. Mit Ausstellungen, kulturellen Veranstaltungen und Publikationen zeigen wir den Klimawandel aus verschiedenen Perspektiven. Dear 2050 ist das Vermittlungsprojekt des Vereins Climanosco. Der Verein ist als wissenschaftlicher Verlag tätig und setzt sich für unabhängige, frei zugängliche Klimawissenschaft ein.