Dimensionale Daten von Amerikanischen Buchen in einem sich verändernden Klima
Umweltdatenforschung trifft auf digitale Kunstinstallationen im öffentlichen Raum
Blandine Courcot, Gisèle Trudel and Marc-André Cossette
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Der Klimawandel ist zweifelsohne eine der grössten Herausforderungen, denen die menschliche Gesellschaft gegenübersteht. Der IPCC-Bericht von 2023 sollte als Orientierungshilfe dienen, doch die ständige Flut negativer Auswirkungen, denen wir uns in Anbetracht des Klimawandels gegenübersehen, scheint uns zu lähmen. Unter dem Druck von ständig und schnell näherkommenden Kipppunkten* schrecken wir davor zurück, Massnahmen zu ergreifen.
Die in diesem Bericht vorgestellten Daten zeigen die Widerstandsfähigkeit eines anderen Lebewesens, der Buche, welche wiederholt kurze, aber intensive Dürreperioden überstehen kann. Die Analyse der klimawissenschaftlichen Daten wurde in einem Wald in der Nähe von Tiohtià:ke / Mooniyang / Montreal (Quebec, Kanada) durchgeführt, einem akademischen Forschungsstandort. Im hier beschriebenen Projekt wurden Schwellenwerte** von Buchen auf Grundlage und in Erweiterung eines numerischen Ansatzes durch künstlerisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit als digitale Kunst öffentlich zugänglich gemacht. Die zwischen 2017 und 2020 mit Bodenwasserpotenzial***- und Bodentemperatursensoren gesammelten Daten enthüllen die dimensionalen Beziehungen des Baums zu seiner Umgebung. In einer grossen Kunstinstallation unter freiem Himmel wurden die Daten anschliessend in einer dynamischen Visualisierung präsentiert. Die Installation mit dem Titel Beech-Becomings war im Frühling 2023 in einem Wald in Kanada zu sehen.
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Der dimensionale Aspekt von Daten kann ebenso als physische Messung wie auch als Qualitätsmerkmal einer Sache oder Situation verstanden werden. Der vorliegende Text wird von einer Wissenschaftlerin und zwei Künstler:innen erzählt, die für die Produktion und Veröffentlichung einer Kunstinstallation und ihrer Diskussion zusammengearbeitet haben. Wir beginnen im ersten Teil des Artikels mit einem Exkurs in die Klimawissenschaften und vertiefen uns in einige Fachbegriffe wie «Bodenwasserpotenzial»,
«Bodentemperatur» und «Blitzdürre» bezogen auf Buchen. Wir stützen uns dabei auf Daten von umweltwissenschaftlichen Sensoren. Der zweite Teil stellt die künstlerische Interpretation von Buchen und Wetterdaten mithilfe einer speziellen Software dar – aufrüttelnde Visualisierungen der Schwellenwerte von Buchen. Im dritten Teil diskutieren wir das Kunstwerk mit dem Titel Beech-Becomings (2023), welches aus der Erforschung dieser Klimadaten entstand und als dritte Outdoor-Installation des MÉDIANE, dem Canada Research Chair in Arts, Ecotechnologies of Practice and Climate Change, gezeigt wurde.
Die Dimensionen von Bodentemperatur, Blitzdürren und dem Bodenwasserpotenzial von Buchen in umweltwissenschaftlichen Daten
Angesichts des Klimawandels beschäftigt sich die Waldökologie mit einer zentralen Frage: Wie werden sich Wälder in einem neuen Klimanormal zeitlich und räumlich entwickeln?
Wir haben untersucht, wie sich ein Zuckerahornwald an der nördlichen Verbreitungsgrenze gemässigter Laubwälder in Quebec, Kanada, in einem neuen Klimanormal verhalten würde. [Diese nördliche Verbreitungsgrenze stellt die Linie dar, ab welcher weiter nördlich keine typischen Laubwälder der gemässigten Breiten mehr wachsen.] Zur Beantwortung dieser Frage habe ich die zeitliche Entwicklung des Bodenwasserpotenzials untersucht, und zwar im DOT-Lab an der Schnittstelle zwischen Daten- und Umweltwissenschaften unter der Leitung von Professor Daniel Lemire und Professor Nicolas Bélanger [DOT-Lab, 2023]. Teile meiner Forschung habe ich als der am Projekt beteiligte Wissenschaftler zu der hier vorgestellten Kunst-Wissenschafts-Kollaboration beigesteuert.
Wenn wir von einem Übergang zu einem «neuen Normal» sprechen, sollten wir auf jeden Fall kurz auf die erwarteten globalen Trends bezüglich Extremereignissen eingehen. Die Erforschung des Einflusses lokaler Faktoren wird immer wichtiger. Dies gilt vor allem für den Wasserhaushalt der Erde, da extreme Wetterereignisse mit der Veränderung des Klimas wahrscheinlicher und intensiver werden sowie länger andauern werden [D. Herring, 2020]. Es ist aber auch schwieriger geworden, Dürreereignisse korrekt zu definieren, da sich ihr Bezugsrahmen verschiebt [S. Stevenson et al., 2022].
Jede Baumart reagiert je nachdem, wie gut sie Veränderungen widerstehen kann, also wie hoch ihre Resilienz ist, anders auf Extremereignisse [C. Holling, 1996]. Um den Begriff der Resilienz in der Ökologie zu erklären, kann eine Analogie verwendet werden. Stellen Sie sich einen Ball in einer Hügellandschaft vor. Der Ball kann stabil in einer Senke zwischen zwei Hügeln liegen. Wenn eine leichte Störung von aussen es schafft, den Ball über einen Hügel in eine andere Senke zu rollen, hat der Ball eine niedrige Resilienz, denn seine Fähigkeit, Veränderung zu widerstehen, ist gering.
Wassermangel stellt für Bäume eine Art der Störung dar, welche von Kögler und Söffker in mehrere Stresslevel basierend auf Dauer und Intensität des Wassermangels unterteilt wurde [F. Kögler and D. Söffker, 2020] (Abbildung 1). Belastungen können für einen Baum bis zu einem bestimmten Grenzwert positiv sein, aber jenseits dieser Grenze hinterlassen sie Schäden und können das Absterben des Baums zur Folge haben. Diese Grenze wird als «Kipppunkt» bezeichnet, als Grenze zwischen zwei Zuständen. Bezogen auf unser Beispiel mit dem Ball entspricht die Hügelkuppe dem Kipppunkt.
Der Tod eines Baumes ist ein komplexer Vorgang, bei dem verschiedene sowohl innere als auch äussere Wechselwirkungen und Abhängigkeiten eine Rolle spielen [Nate G. McDowell et al., 2022]. Ich konzentrierte mich [bei meinen Untersuchungen] darauf, was im Boden geschieht.
Abbildung 1: Diese Grafik bildete den Ausgangspunkt der Zusammenarbeit zwischen Trudel, Cosette und Courcot, die sich auf die sich auf die Fähigkeit der Buche konzentrierte, sich an Blitzdürren anzupassen Nachgedruckt aus [F. Kögler und D. Söffker, 2020], Copyright (2020), mit Genehmigung von Elsevier.
Abbildung 1 kann als ein Wendepunkt in meinem Dialog mit den beiden Kunstschaffenden Trudel und Cossette gesehen werden. Die Grafik ist der gemeinsame Ausgangspunkt unserer Zusammenarbeit, welche sich damit befasste, wie gut Buchen sich an Blitzdürren anpassen können – also an kurze Zeiträume extremer Trockenheit [J. A. Otkin et al., 2018]. In unseren Diskussionen sahen wir den Kipppunkt als eine Lektion des Baums über Resilienz, welcher mittels künstlerischer Ausdrucksmittel mit Menschen geteilt werden sollte. Das zweite Band in der Grafik zeigt die neue Position des Kipppunktes, verschoben durch die positiven Folgen einer Belastung. Dass Stress auch positive Auswirkungen haben kann, ist unserer Meinung nach in Bezug auf den Klimawandel eine wichtige Information für die Öffentlichkeit.
Den experimentellen Rahmen für meine wissenschaftliche Studie bildet das kanadaweite Projekt Smartforests [C. Pappas et al., 2022; Smartforests, 2023] und die Forschungsstation Station de biologie des Laurentides (SBL) der Université de Montréal in Saint-Hippolyte in Quebec [SBL, 2023]. Smartforests Canada ist einer der Hauptpartner des MÉDIANE. Das Versuchsfeld der Studie erstreckt sich über 32 Forschungsstationen. In jeder Station wachsen ähnliche Bäume [N. Bélanger et al., 2021]. Drei primäre Waldtypen wurden identifiziert: Mischwald (MW), Laubwald (HW) und Buchenlaubwald (HB). Die Amerikanische Buche (Fagus grandifolia) ist die vorherrschende Art von HB-Standorten und bildet den Kern meiner eigenen Forschungsarbeit innerhalb des DOT-Labs.
Jede Station verfügt über Sensoren, welche das Bodenwasserpotenzial und die Bodentemperatur messen. Millionen von Messwerten wurden am SBL zwischen 2017 und 2020 erfasst. Zusätzlich wurden Wetterdaten wie Lufttemperatur, Bodentemperatur, Niederschlag, Sonneneinstrahlung und Bodenwassergehalt oder Bodenfeuchtigkeit erhoben [B. Courcot, 2023].
Das Bodenwasserpotenzial wird in Druckeinheiten [kPa] angegeben und beschreibt die Fähigkeit eines Baumes, Wasser aus dem Boden aufzusaugen. Wenn das Potenzial hohe positive Werte erreicht, hat der Baum Dürrestress. Meine Studie hat gezeigt, dass sich Amerikanische Buchen bei Blitzdürren anders verhalten als Balsam-Tannen und Birken. Tatsächlich können Amerikanische Buchen in einem Buchen-Ahorn-Wald mit geschlossenem Blätterdach die sie umgebende Bodentemperatur regulieren und so das Bodenwasserpotenzial tief halten, wie Abbildungen 2 und 3 mit Messungen aus der zweiten Blitzdürre im Jahr 2020 zeigen [B. Courcot et al., 2023]. Für die Buche ist das ein Vorteil, da Dürreperioden immer häufiger vorkommen werden.
Abbildung 2: Entwicklung des Bodenwasserpotenzials [kPa] für Standorte mit Ahorn und Tanne (MW, grün), Ahorn und Birke (HW, rot), sowie Ahorn und Buche (HB, gelb) mit dem täglichen Niederschlag in blau.
Abbildung 3: Entwicklung der Bodentemperatur [°C] für MW, HW und HB.
Wenn wir nun an den rollenden Ball aus unserem Beispiel zurückdenken, erinnern wir uns, dass weniger resiliente Arten einfacher und schneller auf neue Zustände umsteigen. Diese Zustände zu bestimmen ist jedoch nicht ganz einfach. Mit den aus den gesammelten Daten gewonnenen Informationen kann ich die Erfahrungswelt von Bäumen ein Stück weit erfassen, erhalte jedoch immer nur einen zeitlich begrenzten Schnappschuss.
Wie kann nun diese von Bäumen wahrgenommene Dynamik an Menschen vermittelt werden, die mit der Forschung nicht vertraut sind? Wie können die dimensionalen Phänomene in den Daten in bewegte Bilder übersetzt werden? Wie können die Kipppunkte zwischen den einzelnen Zuständen eines Lebewesens (des Baums) verständlich dargestellt werden?
Dimensionale Bildsynthese von umweltwissenschaftlichen Daten in digitaler Kunst
Ich schreibe diesen Abschnitt als Künstler, Musiker und PhD-Kandidat. Mein Beitrag zu dieser Zusammenarbeit ist es, ein sensorisches Erleben von wissenschaftlichen Daten über den Klimawandel zu ermöglichen. Wie im vorhergehenden Abschnitt diskutiert wurde, nutzt unsere wissenschaftliche Partnerin Courcot verschiedene Arten von Graphen und Histogrammen, um grosse Datentabellen zu analysieren und Muster abzulesen. Würde man nur die Zahlen betrachten, wären diese Muster kaum erkennbar. Der Prozess des grafischen Darstellens bietet einen Zugang, abstrakte Daten mithilfe von Farben und Formen in ein dimensionales, sensorisches Erlebnis zu übersetzen. Wie können Daten mittels sensorischer Hilfen verstanden werden, ohne dafür auf umfangreiches Wissen und Erfahrung in Umweltwissenschaften zurückgreifen zu müssen? Kunstschaffende können diese zweidimensionalen Graphen animieren. Sie fügen statischen Bildern eine zeitliche und räumliche Dimension hinzu – ein weiterer Kipppunkt zwischen zwei Zuständen. Durch das Aktivieren der in den Messfolgen enthaltenen Bewegungen können diese plötzlich auch von Betrachtenden wahrgenommen werden, die keinen umweltwissenschaftlichen Hintergrund haben.
Im Januar 2023 begann am Hexagram die erste Phase der künstlerischen Umsetzung mit einem speziellen Programm, welches dafür gemacht ist, hochgradig individualisierbare Bildsynthesen** zu erschaffen. Das Programm nutzt dazu die Programmiersprache Python [Patrik Lechner, 2014; Hexagram, 2023]. Zunächst habe ich die von Courcot zur Verfügung gestellten Datentabellen aufgegliedert, um die auf Buchen bezogenen Daten herausfiltern zu können. Als Ausgangslage für die Untersuchung dieses neuen Datensatzes habe ich gemeinsam mit Trudel einfache Graphen mit dreidimensionalen Linien erstellt, welche aus verschiedenen Winkeln betrachtet werden konnten. Für die detailliertere Betrachtung habe ich ein «Datenfenster» entworfen, welches sich zeitlich durch den Datensatz bewegen konnte. Ein zusätzliches Fenster bewegte sich durch die verschiedenen Forschungsstationen, in denen Buchen angepflanzt sind. So konnte ich die saisonalen Veränderungen von Frühling zu Herbst hervorheben. Diese «Datenfenster» können sowohl in der Breite als auch in ihrer Geschwindigkeit angepasst werden. Diese neue Methode des «Ein- und Auszoomens» in den Datensatz und des Beobachtens der zeitlich-räumlichen Bewegung bietet eine neue Perspektive darauf, wie die Bäume Bodentemperatur und Wasserverfügbarkeit erleben. Es offenbart, wie Boden und Bäume sich in ihrem eigenen dimensionalen Umfeld verhalten. Dies wurde zur Grundlage unserer sensorischen Visualisierungen.
In mehreren Durchläufen haben wir diese Technik der Visualisierung der Daten und ihres Verhaltens über Zeit ständig weiterentwickelt, ähnlich einer Choreographie: der Tanz des Baums mit oder ohne Wasser und die Schwankungen der Bodentemperaturen. Unser gedanklicher Fokus verschob sich vom spezifischen Wert jedes einzelnen Datenpunkts hin zu den Veränderungen zwischen Punkten, zu Beziehungen und Wendepunkten. So betonten wir neue Muster innerhalb und zwischen einzelnen Datensätzen: Momente der Stabilität und abrupte Veränderungen sowie wiederkehrende Muster über bestimmte Zeiträume.
Mit der Weiterentwicklung des Projekts bis April 2023 haben wir die Relevanz der Visualisierungen immer wieder hinterfragt. Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, ob die Visualisierungen wesentlich zum Erleben der Natur der gesammelten und analysierten Daten beitragen, auch ohne sich allzu sehr auf Beschriftungen und textliche Hinweise zu stützen. Ein ausschlaggebender Aspekt des kreativen Prozesses war das Erkunden grafischer Formen und Farben. Diese werden von Wissenschaftler:innen oft zufällig gewählt und sind für Lai:innen somit bedeutungslos. Mit dem Programm haben wir mit verschiedensten Visualisierungen experimentiert: drehende Kreise, bunte Linien und Punkte, simulierte Zellteilung, Partikelsysteme** und fraktale Algorithmen. Diese Simulationen erschufen Bilder von Baumstrünken, mikroskopisch kleinen Blattzellen, von Hitze und Wasser, Ästen und Wurzeln. In jedem Beispiel wurden die Zahlendaten innerhalb des gewählten Datenfensters (Zeitraum und Geschwindigkeit) eingesetzt, um eigene Parameter des Systems zu kontrollieren, was jeder Simulation eine der visualisierten Daten jeweils eigene Bildsprache verlieh.
Für das endgültige Werk haben wir acht sehr prägnante Muster gewählt und diese mit relevanten Daten verknüpft. Das Bodenwasserpotenzial ist zum Beispiel mit in Kreisen angeordneten Punkten simuliert, die sich wie ein Baumstrunk mit Baumringen bewegen (Abbildung 4). Die Bodenfeuchtigkeit wird als fraktales Rendering dargestellt, was an sich nach unten ausbreitende Wurzeln erinnert (Abbildung 5).
Abbildung 4 Ælab und MÉDIANE (2023). Devenir-Hêtre [Auszug aus der Touch Designer Software]. Die Bildsequenz zeigt das Partikelsystem als Verhältnis zwischen Bodentemperatur und Bodenwasserpotenzial. Bildnachweis: Visuelle Programmierung von Marc-André Cossette.
Abbildung 5: Ælab und MÉDIANE (2023). Devenir-Hêtre [Bildschirmfoto der Touch Designer Software]. Bildnachweis: Visuelle Programmierung von Marc-André Cossette.
Eine Simulation zeigt, wie Tageslichtstrahlung die Photosynthese und damit die Zellteilung antreibt (Abbildung 6). Alle diese Systeme bewegten sich zusammen mit dem Datenfenster, so dass eine Kurzfassung der Jahreszeiten von Frühling bis Herbst entstand. Ein halbes Jahr an Daten haben wir in Minuten übersetzt. Dadurch haben wir das zeitliche Wachstum des Waldes so beschleunigt, dass Betrachtende es auf einer menschlichen Zeitskala erfassen können.
Abbildung 6: Ælab und MÉDIANE (2023). Devenir-Hêtre [Bildschirmfoto der Touch Designer Software]. Bildnachweis: Visuelle Programmierung von Marc-André Cossette.
Zuletzt haben wir ein zeitliches Muster, welches wir zuvor als Blitzdürre beschrieben haben, als eine Folge von 1000 Datenpunkten, die unter einem gewissen Wasserpotenzial liegen, definiert. Dieses Muster nutzten wir als Auslöser für visuelle Veränderungen (Abbildung 7). Dank dieser Technik nimmt die ganze Kunstinstallation auf allen Ebenen auf die zeitliche Dimension der Daten Bezug. Sie umfasst nun die Bewegung jedes einzelnen Graphen sowie auch die gesamte Zusammenstellung der Graphen über eine längere Zeitspanne.
Abbildung 7: Ælab und MÉDIANE (2023). Devenir-Hêtre [Sequenz aus der Touch Designer Software]. Die Bildsequenz zeigt das Partikelsystem als Verhältnis zwischen Bodentemperatur und Bodenwasserpotenzial. Bildnachweis: Visuelle Programmierung von Marc-André Cossette.
Die dimensionale Resilienz von Buchen in einer Kunstinstallation unter freiem Himmel
Ich schreibe diesen Abschnitt in meiner Rolle als Künstlerin, Professorin und Leiterin von MÉDIANE, dem Canada Research Chair in Arts, Ecotechnologies of Practice and Climate Change (2020-2025, finanziert durch den SSHRC, CFI, FRQSC). Das gesamte Team von Forschenden, Studierenden, Kunstschaffenden und Expert:innen entwirft, inszeniert und präsentiert die wissenschaftliche Forschung der Smartforests Canada Gruppe in jährlichen Freiluft-Kunstinstallationen. Die Forschungsarbeiten von Smartforest sind Teil eines globalen Netzwerks an miteinander verbundenen Initiativen zur Erfassung des Waldes [Jennifer Gabrys, 2016]. Die audiovisuellen Kunstwerke bestehen aus computergesteuerten LED-Videokacheln, immersivem und fühlbarem Klang, modularen Synthesizern und verschiedenen Sensoren. Das Ganze wurde unter freiem Himmel als «Ausstellungslabor» präsentiert. Das technische Equipment wurde an einem Gerüst montiert. Kabel und Befestigungen gehörten als sichtbare Teile zur Installation, ebenso wie die Einwirkungen von Wetter, Bäumen und Pflanzen, Wind und Waldbewohnern. Die modularen, wandlosen Röhrenkonstruktionen lassen an Strukturen aus moderner Architektur oder wissenschaftlichen Waldexperimenten denken (Abbildungen 8, 9 und 10).
Das Kunstwerk ist als «Baustelle» gedacht, als offener Ort für den Dialog über wissenschaftliche Daten. Dies beinhaltet die Förderung der Fähigkeit, Daten lesen und verstehen zu können [David Spiegelhalter, 2019], damit Betrachtende in der Lage sind, zu hinterfragen, welche Daten wie dargestellt werden. Die Öffentlichkeit interessiert sich dafür, welchen Beitrag Forschende zur Klimaforschung leisten, aber viele besuchen nur selten Museen oder Galerien, um Kunst oder Wissenschaft zu erleben.
Abbildung 8: Ælab und MÉDIANE (2023). Devenir-Hêtre [digitale Außeninstallation]. Fondation Grantham for the Arts and the Environment, Saint-Edmond-de-Grantham, Quebec. Ein Blick auf die Installation. Bildnachweis: Gisèle Trudel.
Abbildung 9: Ælab und MÉDIANE (2023). Devenir-Hêtre [digitale Außeninstallation]. Fondation Grantham for the Arts and the Environment. Die LED-Videokacheln sind in einem Halbkreis angeordnet, mit Surround-Sound und einer Lautsprecheranordnung an der Spitze. Bildnachweis: Richard-Max Tremblay.
Abbildung 10: Ælab und MÉDIANE (2023). Devenir-Hêtre [digitale Außeninstallation]. Fondation Grantham for the Arts and the Environment. Im Vordergrund befindet sich als Bestandteil der Installation der “taktile Klang”-Tisch, auf dem die Menschen sitzen oder liegen können und eine “Klangmassage” von Schallwandlern erhalten, die unter der Plattform angebracht sind. Bildnachweis: Richard-Max Tremblay.
Das dritte Kunstprojekt von MÉDIANE, Devenir-Hêtre, oder auf Englisch Beech-Becomings (dt.: zur Buche werden), war im Mai 2023 in einem Wald der Fondation Grantham for the Arts and the Environment zu sehen [Devenir-Hêtre, 2023; Grantham Foundation, 2023]. Der Ort widerspiegelt das Ziel des Lehrstuhls, sich mit unterschiedlichem Zielpublikum über Wälder und den Klimawandel auszutauschen, um produktive und neue, freie Konversationen zu ermöglichen, ohne Druck, ohne Vorwissen oder vorausgesetztes Interesse. Er geht einher mit einer allgemeinen Zunahme von Kollaborationen zwischen Kunst und Wissenschaft [M. G. Tosca et al., 2021; N. Li et al., 2023] und zeitgenössischen Kunstwerken, welche sich mit den symbiotischen Beziehungen von Bäumen und digitalen Medien befassen [J. Tingley, 2020-23; R. Smite and R. Smits, 2020; Agnes Meyer-Brandis, 2013].
Die beiden vorherigen Installationen von MÉDIANE wurden in städtischer Umgebung [bois eau métal, 2012, Orée des bois, 2022] beziehungsweise in einem botanischen Garten und einem Gemeinschaftsgarten eines Universitätscampus gezeigt. Die Kollaborationen des Lehrstuhls sind als öffentliche Foren gedacht, welche Daten aus der Klimaforschung mittels sinnlicher Erlebnisse aus digitaler Kunst durch neue Dimensionen ergänzt. Ein kritischer Punkt für digitale Kunst ist die Herausforderung, Installationen unter freiem Himmel zu zeigen, um eine aktive Auseinandersetzung mit dem Klimawandel zu ermöglichen. Das Kunstwerk ist den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt wie Bäume, welche Kälte, Regen oder Hitze trotzen: die Unmittelbarkeit des «vor Ort Seins», herausfordernd und herrlich zugleich. Die untersuchten wissenschaftlichen Daten wurden am SBL während des ersten Jahres der Pandemie gesammelt – einer Zeit des ökologischen und sozialen Kollapses. Jede Dateneinheit, welche die Resilienz von Buchen zeigt, leistet einen Beitrag zu einem genaueren Bild des aktuellen und zukünftigen Klimas. Gleichzeitig bezieht es die Öffentlichkeit in neue Wege ein, Veränderungen zu vergegenwärtigen, über sie nachzudenken und mit ihnen leben zu lernen, seien es die eigenen Veränderungen oder diejenigen von anderen Lebewesen.
Begegnungen mit der Öffentlichkeit fördern die Zirkulation von Ideen und kreativen Taten. Einige davon wurden in halb-geleiteten, freiwilligen Interviews von jeweils 7 Fragen gesammelt. Im Mai 2023 haben 300 Menschen die Installation besucht (Abbildungen 10 und 11). 76 Menschen zwischen 8 und 85 Jahren haben an der Befragung teilgenommen. Die Daten aus den anonymen Interviews haben mit Vorurteilen über mangelndes Wissen oder mangelnde Betroffenheit über den Klimawandel aufgeräumt und bestätigten, dass Bäume für viele eine wichtige Rolle spielen. Weiter hat sich herausgestellt, dass Kreativität und Interdisziplinarität wichtige Bestrebungen sind, um dringliche Umweltprobleme mit Offenheit und gemeinsamer Arbeit anzugehen.
Zusammenfassend
Die Kipppunkte von Buchen werden durch Wassermangel und steigende Temperaturen verschärft und liefern wichtige wissenschaftliche Daten über die Resilienz der Bäume. Aus diesen Daten wiederum gehen dimensionale, künstlerische Datenvisualisierungen hervor. Die verschiedenen Ebenen des «positiven Stresses» von Buchen werden in Zahlen ausgedrückt, in zeitlichen Datenabfolgen und in ihren Auswirkungen auf kollaborative Forschung und die Öffentlichkeit. Die inneren und äusseren Dynamiken von Buchendaten wurden in sinnlichen Visualisierungen ihrer Prozesse mittels dynamischen, bewegten Bildern in einer Kunstinstallation unter freiem Himmel vergrössert. Die Öffnung des Dialogs über den Klimawandel mittels Kreativität und das Schreiben dieses Textes in interdisziplinärer Zusammenarbeit ist auch ein Mittel, um Grenzen der Feldforschung für die Öffentlichkeit, welche ebenfalls vom Klimawandel betroffen ist, zu durchstossen.
* (Schwellen zwischen zwei Zuständen)
** (Der Schwellenwert bezeichnet den Wert, nach dessen Übertretung eine Art nicht überleben kann)
*** Das Bodenwasserpotential, auch Bodenfeuchte genannt, ist eine Messgrösse, die in der Landwirtschaft und in der Pflanzenforschung verwendet wird. Sie gibt die Verfügbarkeit von Wasser für Pflanzen an einer bestimmten Stelle im Boden an. Es ist ein Mass für die Wasserbindungskraft des Bodens.